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Das Thema des erwähnten Buches mit dem Titel  „Wie frei wir sind, ist unsere Sache: Personeigene Freiheit in der Welt der Naturgesetze“, erschienen bei Klostermann im Juni 2016, lässt sich ungefähr so darstellen:

Am Beginn steht die Überzeugung, dass wir als Personen eine Vorstellung davon haben, wie wir in unserem Handeln sein möchten. Dieser Vorstellung wird jede Einzelperson nur mehr oder weniger gut gerecht. Einigen Menschen gelingt es, ihr Seinwollen und ihr tatsächliches Sein als handelnde Wesen sehr gut in Einklang zu bringen, anderen gelingt es sehr schlecht. Wir sagen, sie sind „wie ein Blatt im Wind“, „fallen immer wieder um“ oder ähnlich. Irgend­wo zwischen diesen Extremen finden sich die meisten Personen, mit einer teils ausgedehnte­ren, teils weniger ausgedehnten Übereinstimmung mit sich selbst. Was Menschen dazu bringt, langfris­tige Selbstvorstellungen zu verletzen und anders zu handeln, als sie es von sich erwarten, sind in der Regel auf sie eindringende, von außen oder auch innen kommende Impulse verschiedenster Art. Das können Befürch­tun­­­gen, Begierden, Forderungen anderer, sozialer und institutioneller Druck, plötzlich aufsprin­gende eigene Wünsche sein und vieles andere mehr. Personen, die zeitweiligen Impulsen besonders gut widerstehen und die Über­ein­stimmung mit ihrer Selbstvorstellung besonders gut verteidigen, sind gegenüber mögli­chem Impulsdruck freier als andere, die solchem Druck eher nachgeben. Man kann also sagen, Menschen sind in verschiedenem Grad frei gegenüber den ganz verschiedenartigen Impulsen, die auf sie eindringen. Sie sind dementsprechend auch in verschiedenem Grad frei zu den Handlungen die sie langfristig, situationsunabhängig von sich erwarten. Diese Form von Freiheit ist von Person zu Person verschieden stark ausge­bildet. Sie setzt sich auch im Leben jeder einzelnen Person zu verschiedenen Zeiten verschie­den deutlich durch. Sie kommt  nicht allen Menschen in gleichem Maß zu, sondern so gut wie allen in verschiedenem Umfang und auch zu verschiedenen Zeiten ihres Lebens verschieden stark. Ich spreche von person­eigener Freiheit, einer Freiheit, die jeder Person in je besonderem Maß eigen ist und auch über die Zeit stark variieren kann. Wir können nie sicher sein, dass wir morgen noch so gut unserer Selbstvorstellung handelnd gerecht werden wie heute, d.h. morgen im eben darge­stellten Sinn noch so frei sind wie jetzt. Das macht es aus, dass diese Freiheit auch als eigen­tümlich unfest angesprochen werden muss.

Jede Person kann versuchen, auf Ausdehnung wie Stabilität ihrer personeigenen Freiheit Einfluss zu nehmen, und versucht dies auch oft, mit unterschiedlichem Erfolg. Da es hier letztlich um das In-Einklang-sein mit sich selbst geht, kann man sagen, die je individuelle personeigene Freiheit ist ein unausdrückliches Lebensthema jeder personalen Existenz. Wir können uns um diese Freiheit bewusst kümmern (ohne notwendig den Terminus zu gebrauchen), wir können uns dafür anstrengen, wir können in dieser Sache Stolz oder Scham erleben, wir können erworbene personeigene Freiheit in Trägheit verfallen lassen. Daraus ergibt sich der Titel des Buches: „Wir frei wir sind, ist unsere Sache“. Der Untertitel „Personeigene Freiheit in einer Welt der Abhängigkeiten“ weist darauf hin, dass die Freiheit, die hier behandelt wird, sehr wohl mit dem Bewusstsein unserer durchgängigen Abhängigkeit von unübersehbar vielen Faktoren bestehen kann, Faktoren, die wir in ihrer Gesamtheit gar nicht kennen können. Eine absolute Freiheit des Menschen im Sinn unbedingter, durchgängiger Selbstmacht, oft mit dem mehrdeutigen Terminus „Willensfreiheit“ verbunden, kann ich ohnehin nur für eine unglückliche Illusion halten.

Dass personeigene Freiheit grundsätzlich als unfest betrachtet werden muss,  hat  damit zu tun, dass wir unsere Willensbildung nicht so verlässlich steuern können wie etwa eine Armbewegung. Unser Wille bildet sich auf eine Weise, die wir nicht perfekt durchschauen. Und manchmal verändern wir uns sogar, solange eine gewollte Handlung noch nicht getan ist, unter der Hand hin zu einem ganz anderen Wollen, als es kurz zuvor noch spürbar war, ohne wirklich genau sagen zu können, wie das geschah. Allerdings können wir auf Bildung und Verän­derung unserer Willenshal­tung Einfluss zu nehmen suchen, z.B. indem wir uns Argumente für die eine oder andere Hand­lungsweise verdeutlichen. Wir haben eine ausgeprägte Tendenz, das zu tun, was unsere Argu­mente uns jetzt und hier als das Beste vor Augen stellen. Ob wir es tatsächlich tun, ist damit aber noch nicht entschieden. Auch sehr gute Argumente steuern unsere Willensbildung nicht so umweglos und relativ zuverlässig, wie wir eine Armbewegung steuern können. Es besteht ein markanter Unterschied zwischen der erlebten Unmittelbarkeit, mit der wir bestimmte Körperbewegungen in Gang setzen und dann auch Punkt für Punkt lenken können, und der eigentümlichen Indirektheit, die wir bei allen Versuchen akzeptieren müssen, unsere Willensbildung zu beeinflussen. Wir „bestimmen“ unseren Willen nicht direkt und umweglos. Wir können nur versuchen darauf hinzuwirken, dass unsere Vorstellung, wie unser Wille sein sollte, bei seiner Formierung oder Veränderung in erwünschter (aber keineswegs bestimmender) Rolle mitspielt.

Im Einzelnen geht das Buch aus von einer Analyse der typischen Indirektheit, auf die wir bei jedem Versuch verwiesen sind, im Sinn eigenen Für-richtig-Haltens auf unsere Willensbildung Einfluss zu nehmen. Die Weise, wie wir unseren personeigenen Freiheitsraum in indirekter Form erweitern, verteidigen, nach Einbußen wieder „reparieren“ können, wird in dem Buch zunächst systematisch untersucht. Dann wird sie auch exemplarisch-historisch betrachtet, durch Diskussion von Vorschlägen, die sich in großen philosophischen Theorien finden. Die Spanne reicht dabei von der griechischen Antike bis zur Gegenwart. Auch Positionen der zeitgenössischen Philosophie, die der hier vertretenen teils ähnlich sind, teils in Gegensatz zu ihr stehen, werden in den Fokus genommen. Den Schluss macht eine Überlegung zur Relevanz für das Konzept individueller Verantwortung, genauer: zu den Konsequenzen, die sich im Weiterdenken der angelegten Linien für unsere Vorstellungen von Schuld und Schuldbewältigung ergeben. Die Vermutung ist dabei, dass in einer sehr langfristig zu denkenden Entwicklung unser herkömmliches Konzept von Verantwortlichkeit, das sich noch immer weitgehend auf die Idee einer schimärischen Willensfreiheit stützt, aufgegeben und durch etwas anderes ersetzt werden muss. Bei der anders zu denkenden Verantwortlichkeit, die an die Stelle der früheren treten sollte, dürfte das Konzept personeigener Freiheit (gegebenenfalls auch unter ganz anderem Namen) eine zentrale Rolle spielen.